Top-Thema: Sicherheit in der Höhe Sicher in der Höhe: Menschenleben schützen!

Lesedauer: min
Von: Jessy von Berg

Es gibt viele leidvolle Beispiele dafür, sich über den Vorschriften-Wahnsinn in Deutschland aufzuregen. Geht es aber um den Schutz von Menschenleben, darf es da keine zwei Meinungen geben. Innerhalb der Bauwirtschaft, die ohnehin von einem hohen Gefahrenpotenzial zeugt, finden sich Arbeitsbereiche, in denen Vorschriften und Regeln aktiv dabei helfen, Menschen zu schützen – vor allem beim Arbeiten in der Höhe. Ob auf Dächern, Gerüsten oder Leitern, hier hat Schutz die oberste Priorität. In der aktuellen Ausgabe befasst sich die bauSICHERHEIT im Top-Thema »Sicherheit in der Höhe« mit allem, was die Absturzgefahr verringert und zur effektiven Absturzprävention eingesetzt werden kann. Nachfolgend hat die Redaktion die wichtigsten Fakten zu diesem Thema zusammengetragen.

Zur Wahrheit gehört, dass jeder Mensch von Natur aus über einen eigenen »Gefahrenwarner« verfügt: Die Rede ist von der gesunden Angst vor Höhe – einhergehend mit dem Selbstschutz, ein bestehendes Risiko richtig einschätzen und abwägen zu können. Gezeigt hat sich aber, dass wir Menschen, insbesondere dann, wenn wir Dinge regelmäßig tun, gern zu Selbstüberschätzung neigen. Ein Höhenarbeiter z. B. ist der Absturzgefahr tagtäglich ausgesetzt und nimmt das Risiko irgendwann nur noch sekundär wahr – das Arbeiten in riskanter Umgebung wird schlichtweg zur Normalität. Hinzu kommt, dass langjährige Erfahrung »blind« machen kann: Je häufiger wir Dinge tun, desto mehr sehen wir uns darin bestätigt, keine Fehltritte mehr begehen zu können. Und aus eben dieser wachsenden Unachtsamkeit entspringt dann in der Regel ein höheres Unfallpotenzial.

Die Ursachen von tödliche Arbeitsunfällen

Die Statistiken bestätigen das: Bei Absturzunfällen ist die Verletzungsschwere tendenziell besonders hoch. So sind Abstürze mit 20 Prozent derzeit die häufigste Ursache für tödliche Arbeitsunfälle. Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) registrierte in ihrem Bericht »Arbeitsunfallgeschehen 2022« insgesamt 35 297 meldepflichtige Arbeitsunfälle, die durch Absturz von baulichen Anlagen verursacht wurden. Dazu gehören beispielsweise Abstürze von Dächern oder Gerüsten – aber auch Stürze von Leitern oder Lkw. Im Jahr 2022 endeten 65 dieser Absturzunfälle tödlich. Selbst wenn ein Absturz nicht tödlich endet, hat er für die Betroffenen oftmals langwierige und gravierende gesundheitliche Folgen.

Für einen Unfall mit Folgen braucht es nicht immer gleich die großen Höhen. Bereits ein Sturz von der Leiter kann drastische Folgen mit sich bringen.

In der Baubranche: Risiko viermal höher

Eine Sonderauswertung der DGUV zeigt außerdem, dass Beschäftigte im Baugewerbe und in anderen Berufen, die auf Baustellen arbeiten, besonders häufig von Absturzunfällen betroffen sind. Das Risiko eines Absturzunfalls ist laut Auswertung etwa viermal so hoch wie im Durchschnitt aller betrachteten Branchen. Laut Statistik der BG BAU machen Abstürze von Leitern mit fast 50 Prozent und von Gerüsten mit mehr als 20 Prozent den Großteil aller Absturzunfälle in der Bauwirtschaft und den baunahen Dienstleistungen aus. Von 2009 bis 2018 registrierte die BG BAU insgesamt 871 tödliche Arbeitsunfälle. Mehr als ein Drittel davon waren Absturzunfälle. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch, das Abstürze aus weit geringerer Höhe ebenfalls zu berücksichtigen sind: Zwar steigt mit der Absturzhöhe immer auch die Wahrscheinlichkeit tödlicher Verletzungen – aber auch Abstürze aus geringer Höhe können bereits zu erheblichen Verletzungen führen. So passieren 50 Prozent aller tödlichen Absturzunfälle aus einer Höhe von weniger als 5 m. Und auch bei Absturzhöhen von weniger als 2 m wurden bereits tödliche Unfälle registriert. Bei geringeren Absturzhöhen spielen vor allem Kopfverletzungen eine große Rolle. Daher sollte bei entsprechenden Arbeiten stets ein geeigneter Kopfschutz wie Arbeitsschutzhelme getragen werden, über welche die bauSICHERHEIT regelmäßig berichtet.

In der Bauwirtschaft finden sich zahlreiche Arbeitsbereiche, bei denen ein extrem hohes Unfallrisiko besteht.

Leitern als Gefahr für viele Absturzunfälle

Statistisch betrachtet ereignen sich die meisten Abstürze tatsächlich bei der Nutzung von Leitern (31,1 Prozent). Todesfälle stehen dagegen meist in Verbindung mit dem Absturz von Dächern (20,0 Prozent) oder Gerüsten (9,2 Prozent). Hohe Absturzzahlen sind auch bei Lkw und deren Aufbauten, Aufstiegen und Ladeflächen zu verzeichnen. Um wirksame Schutzmaßnahmen gegen Absturz am Arbeitsplatz zu entwickeln, ist eine gründliche Beurteilung der Absturzgefahren unerlässlich. Sie bildet die Grundlage für gezielte Präventionsmaßnahmen zur Minimierung des Absturzrisikos. Schutzmaßnahmen gegen Abstürze sind in verschiedenen Rechtsvorschriften geregelt. Neben der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) mit der zugehörigen ASR A2.1 »Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen« ist die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) mit der konkretisierenden Technischen Regel »TRBS 2121 Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz« zu beachten. Die »TRBS 2121« ist in folgende Teile untergliedert:

Verwendung von Gerüsten, Verwendung von Leitern, Verwendung von Zugangs- und Positionierungsverfahren unter Zuhilfenahme von Seilen sowie das ausnahmsweise Heben von Beschäftigten mit hierfür nicht vorgesehenen Arbeitsmitteln. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung wird zunächst ermittelt, ob grundsätzlich eine Absturzgefahr besteht. Hierbei ist nach »TRBS 2121« ausschlaggebend, ob eine sogenannte Absturzkante vorhanden ist. Der Begriff »Absturzkante« nach »TRBS 2121« bezeichnet »eine Kante an einem Arbeitsmittel oder einer überwachungsbedürftigen Anlage, über die ein Beschäftigter oder mehrere Beschäftigte abstürzen können«, wie es in der Verordnung heißt. Auch der Übergang von einer tragfähigen bzw. durchtrittsicheren zu einer nicht tragfähigen oder nicht durchtrittsicheren Fläche gilt als Absturzkante. Die TRBS 2121 nennt keine quantitative Höhe, die für das Vorliegen einer Absturzgefährdung maßgeblich ist. Die potenzielle Fallhöhe wird jedoch als Kriterium für die spätere Bewertung der Gefährdung herangezogen. Abweichend davon geht die ASR A2.1 davon aus, dass eine Gefährdung durch Absturz ab einer Absturzhöhe von mehr als 1 m vorliegt.

Absturzunfälle treten am Bau auffallend häufig auf – hier gilt es grundsätzlich, die vielen wichtigen Richtlinien und Vorgaben zu beachten, die dabei helfen können, das Risiko solcher Unfälle deutlich zu reduzieren.

Rangfolge notwendiger Schutzmaßnahmen

Bei der Festlegung von Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz gilt das sogenannte TOP-Prinzip, über das die bauSICHERHEIT-Redaktion bereits häufig informiert hat. Das heißt, technischen Schutzmaßnahmen muss Vorrang vor organisatorischen Schutzmaßnahmen eingeräumt werden. Diese wiederum haben Vorrang vor sogenannten personenbezogenen Schutzmaßnahmen. Insbesondere durch die Auswahl des Arbeitsmittels unter Berücksichtigung der auszuführenden Tätigkeiten ist die Absturzgefährdung zu verhindern bzw. so gering wie möglich zu halten. Weitere Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz sind entsprechend der nachstehenden Rangfolge auszuwählen: 1. Absturzsicherungen – z. B. Abdeckungen, Geländer oder Seitenschutz. 2. Auffangeinrichtungen wie Schutznetze, Schutzwände oder Schutzgerüste. Sowie 3. Persönliche Schutzausrüstung – etwa Auffanggurte, Höhensicherungsgeräte oder Trägerklemmen. Zu beachten gilt bei der Persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) allerdings, dass die Verwendung von PSA in der Gefährdungsbeurteilung besonders zu bewerten ist. Die geeignete PSAgA ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung entsprechend den Bedingungen am Arbeitsplatz auszuwählen, wie es in den Vorschriften heißt. Es sind geeignete Rettungskonzepte vorzusehen, die eine schnelle und sichere Rettung der aufgefangenen Personen gewährleisten (insbesondere bei der Gefahr eines Hängetraumas). Dazu ist der erforderliche Freiraum unterhalb des Standplatzes sicherzustellen. Es müssen geeignete Anschlageinrichtungen vorhanden sein. Die Beschäftigten sind in die Benutzung der PSAgA einzuweisen und über die Durchführung der erforderlichen Rettungsmaßnahmen zu unterweisen.


Arbeitsmittel für sicheres Arbeiten

Die Bandbreite an Lösungen, um sicheres Arbeiten auf erhöhten Ebenen zu gewährleisten, ist groß. Der Markt erweist sich hier als vielseitig – auch die Anzahl an Herstellern ist erstaunlich groß. Im Bereich der Leitern beispielsweise gilt grundsätzlich, dass sie ideal geeignet sind, um schwer zugängliche Arbeitsbereiche schnell und ohne viel Aufwand erreichen zu können. Diese Vorteile machen Leitern zu einem beliebten und häufig eingesetzten Arbeitsmittel. Bereits durch die Auswahl des passenden Leitermodells können Absturzrisiken minimiert werden. Daher sollten im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung und unter Beachtung der auszuführenden Tätigkeit immer auch die verschiedenen Leiterbauarten berücksichtigt werden. Beispielsweise bieten Stufenleitern mehr Sicherheit und eine bessere Ergonomie als Sprossenleitern. Stehleitern bieten einen besonders sicheren Stand und müssen nicht angelehnt werden. Und Podest-Leitern verfügen über eine großzügige Plattform, die ausreichend Bewegungsraum für anspruchsvolle Tätigkeiten bietet. Professionelle Leitern, gleich welcher Bauart, verfügen oft über weitere Vorkehrungen, die das Arbeiten in der Höhe sicherer machen: z. B. profilierte Stufen, rutschsichere Fußstopfen und Plattformen oder vormontierte Handläufe. Aber: Bei der Gefährdungsbeurteilung ist stets zu prüfen, ob für die vorgesehenen Tätigkeiten nicht ein sichereres Arbeitsmittel als eine Leiter verwendet werden kann. Als sicherere Arbeitsmittel benennt die »TRBS 2121« konkret Gerüste oder Hubarbeitsbühnen. Beim Einsatz von Gerüsten sind die Anforderungen der Technischen Regel »TRBS 2121 Teil 1 Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz bei der Verwendung von Gerüsten« zu beachten. Fahrbare Hubarbeitsbühnen fallen nicht in den Anwendungsbereich der »TRBS 2121 Teil 1«. Hinweise zu deren sicherem Betrieb und Bedienung können Anwender beispielsweise der DGUV-Information 208-019 »Sicherer Umgang mit fahrbaren Hubarbeitsbühnen« entnehmen. 

An Arbeitsplätzen mit Absturzrisiko, die nicht kollektiv gesichert sind, ist die Verwendung von Persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zwingend notwendig. Hinweise zur Auswahl und Benutzung von Persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz können Interessierte in der DGUV-Regel 112-198 »Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz« nachlesen. Aber Achtung: Wer PSAgA verwendet, sollte immer auch die sogenannte maximale Gebrauchsdauer berücksichtigen. Die Leistungs- und Funktionsfähigkeit von PSAgA wird durch Umweltbedingungen wie beispielsweise UV-Strahlung oder Feuchtigkeit sowie durch die jeweiligen Einsatzbedingungen beeinflusst. Dazu gibt der Hersteller das Datum der Ablegereife auf der PSAgA an. Alternativ kann die PSA mit Monat und Jahr der Herstellung gekennzeichnet sein, wobei zur Bestimmung der Ablegereife alle zweckdienlichen Angaben in der Gebrauchsanleitung aufgeführt sein müssen (Kapitel 8.9 DGUV-Regel 112-198). Nach Ablauf der Ablegereife darf die Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz nicht mehr eingesetzt werden und ist umgehend auszutauschen..     Jvb

[28]
Socials