FISAT: »Redet Euch die Köpfe heiß und seid kritisch«

Mehr als 200 Fachleute haben Anfang Oktober am 11. Technikseminar des Fach- und Interessenverbands für seilunterstützte Arbeitstechniken (FISAT) auf dem Gelände der DGUV-Akademie in Dresden ­teilgenommen, bei dem die Seilzugangstechnik im Mittelpunkt stand.

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Von: Dan Windhorst

Hauptthemen waren dabei die horizontale Fortbewegung, die Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) sowie Wechselwirkungen im Arbeitssystem. Neben Fachvorträgen konnten auch Live-Vorführungen besucht werden, um sich über effektive Schutzausrüstung zu informieren. ­Gleichzeitig sprachen erfahrene Industriekletterer darüber, wie sie mit den Risiken ihres Jobs und den notwendigen Schutzmaßnahmen umgehen.

Mit den Worten »Redet Euch die Köpfe heiß – und seid kritisch« eröffnete FISAT-Präsident Eric Kuhn das zweitägige Technikseminar in Dresden. Und dieser Vorgabe folgten die Teilnehmer auch: Erfahrene Branchenprofis tauschten sich mit dem Nachwuchs, mit Herstellern, Versicherern und FISAT-Mitarbeitern aus, um dem Thema Sicherheit im Bereich der persönlichen Schutzausrüstung die nötige Gewichtung zu verleihen.

Arbeit in der Höhe bringt viele Gefahren mit sich

Zu spüren war, dass auch die »erfahrenen Kletterer« unter den Teilnehmern keinesfalls taub für neue Sichtweisen oder auch Vorgaben und Richtlinien waren. Die Höhenarbeit birgt große Risiken: Der kleinste Fehler kann im schlimmsten Fall den Tod bedeuten. Und gerade deshalb sieht sich der FISAT nach Aussage von Eric Kuhn dabei in der Verantwortung, die Industriekletterer aber auch Unternehmer, Hersteller und Händler für dieses Thema zu sensibilisieren. »Wir wollen alle, dass die Branche insgesamt noch sicherer wird. Und das gelingt uns auf der einen Seite mit dem richtigen Equipment, auf der anderen Seite aber auch durchs Dazulernen.« Auf dem Papier steht Sicherheit natürlich immer an erster Stelle – dass das in der Realität aber nicht immer der Fall ist, belegt die Unfallstatistik.

»Fehler machen erstaunlich häufig die alten Hasen«

Zwar ist die Zahl der Arbeits- und Wegeunfälle nach Aussage der DGUV gegenüber dem Vorjahr gesunken, aber sie wäre nach Ansicht von Frank Hartig, dem ersten Redner des FISAT-Technikseminars 2018, »viel geringer, wenn wir noch bewusster mit der Sicherheit umgehen würden.« Frank Hartig, der als leitender Oberarzt am Universitätsklinikum Innsbruck tätig ist, verwies mit seinem Vortrag zum Beispiel auf die Gefahr der Selbstüberschätzung: »Fehler machen erstaunlich häufig die alten Hasen – erfahrene Leute, die mit der Zeit nachlässig werden« und fügte an: »Gerade bei immer wiederkehrenden Arbeitsabläufen darf es nicht passieren, dass wir Gewohnheit zu unserem Feind machen.«

Hartig nannte außerdem Beispiele aus der Praxis und fand dabei mahnende Worte: »In unseren Jobs verwenden wir die unterschiedlichsten Sicherheitsausrüstungen. Was wir aber irgendwann ein bisschen vergessen ist die Frage danach, warum wir das eigentlich tun. Ob jetzt Klettern oder Tauchen: Das, was wir da Tag für Tag machen, ist gefährlich und jeder Fehler kann, egal wie viele Jahre wir die Arbeit schon machen, tödlich sein.« Berichtet hat Hartig von tragischen Unfällen, bei denen gerade die Selbstüberschätzung ein wichtiger Faktor war.

Unfall durch fehlende Vorabinformationen

Von einem anderen Fall berichtete Volker Juhls: Der selbstständige Höhenarbeiter erfuhr am eigenen Leib, wie wichtig neben der richtigen Selbsteinschätzung am Seil auch die theoretische Vorplanung sein kann: Während eines Einsatzes in einer Kalktransporthalle erlitt der Kletterer schmerzhafte Hautverletzungen. »Ich habe mich wie immer mit meiner Standardausrüstung, also Staubschutz-Overall und Staubschutzmaske, ausgestattet. In der Gefährdungsermittlung vom Auftraggeber gab es keine Hinweise auf andere Schutzmaßnahmen. Meine Arbeit bestand darin, unter der Hallendecke zu arbeiten – alles war von Kalk bedeckt. Nach einiger Zeit habe ich dann ein Brennen auf der Haut gespürt und als dann noch starke Schmerzen dazugekommen sind, bin ich sofort losgerannt und habe versucht, die Erste-Hilfe-Stelle zu finden« so Volker Juhls, der während seines Vortrags immer wieder auf die Gefahr hinwies, nicht nur an das Klettern selbst, sondern auch auf die Arbeitsumgebung zu achten.

»Später im Krankenhaus war dann klar, was für ein Ausmaß das Ganze hatte: Ich bin während der Arbeit mit ungelöschtem Kalk in Berührung gekommen, ohne dass davon was in der Gefährdungsermittlung stand. Es gab keine Hinweise von den Mitarbeitern vor Ort. Am meisten waren meine Arme betroffen, ich musste mehrere Hauttransplantationen mitmachen.« Neben körperlichen hatte der Zwischenfall auch juristische Folgen: Juhls ging vor Gericht und hatte den Auftraggeber aufgrund der nicht vollständigen Gefährdungsermittlung verklagt. Juhls erntete für seine offene Art und den interessanten Beitrag viel Applaus von den Teilnehmern, die sich im Anschluss an den Vortrag viel Zeit nahmen, um diese und ähnliche Unfallsituationen zu diskutieren.

Ein Fachverband als Sprachrohr

An genau solchen Punkten sieht sich der FISAT mit seinem Technikseminar als Vermittler in der Verantwortung: »Wir versuchen einerseits kompetente Informationen weiterzugeben, andererseits aber auch als Plattform zum Meinungsaustausch zu dienen«, erklärte Sven Drangeid, Leiter der FISAT-Geschäftsstelle. »Die Redner des Seminars bringen neue Richtlinien, theoretische Ansätze und auch Sichtweisen auf den Tisch. Gleichzeitig kommen die Leute hier her, um sich über das Wissen aus der Praxis auszutauschen. Und deshalb passt diese Veranstaltung auch so gut zum Grundgedanken des FISAT: Wir wollen die Kommunikation untereinander stärken und Themen wie Sicherheit, Technik, neue Verordnungen und Gesetze zur Diskussion stellen.«


Ergonomie beim Arbeiten und Retten

Der Fachverband ist seit 1995 aktiv und sieht sich mittlerweile als Sprachrohr sowie Meinungsbildner der Branche. Aber die Vorträge allein machen das Technikseminar längst nicht aus. Die Teilnehmer konnten mehrere Live-Vorführungen besuchen. Mitarbeiter der Firma Alpintec widmeten sich dem Thema »Ergonomie beim Arbeiten und Retten«. Gezeigt wurden technische Hilfsmittel zur sicheren Bergung von Personen sowie die einzelnen Arbeitsabläufe beim Arbeiten in der Höhe, insbesondere mit Hinblick auf zuverlässige Sicherungslösungen für Seile.

Dem Thema »Kantenbelastung« widmete sich wiederum das ProTeam von Petzl: Insbesondere bei der Seilführung über Kanten treten laut Petzl große Kräfte auf das System, aber eben auch auf die Struktur ein. In mehreren Durchgängen seilten sich Mitarbeiter vom Gerüstaufbau ab, um diese Auswirkungen beispielsweise an Kantenstücken aus Holz sichtbar zu machen. Die Ergebnisse wurden noch vor Ort dokumentiert, digital ausgewertet und dem Publikum gezeigt. Auch hier flossen immer wieder spontane Diskussionsrunden in die Beiträge mit ein, um Theorie und Praxis eng miteinander zu ver­knüpfen.

Lastannahmen in der Seilzugangstechnik

Ebenfalls viel Aufmerksamkeit erhielt Seminardozent Markus Füss: Der Geschäftsführer des In­genieurbüros »Hochsicher« sprach über die verschiedenen Anschlagmöglichkeiten sowie permanente Anschlageinrichtungen, die für einzelne Schlagpunkte, aber auch Schienensysteme zur Verfügung stehen und ergänzte: »Ein besonderes Augenmerk verdient das Equipment selbst: Es ist wichtig, dass wir es nicht nur regelmäßig überprüfen, sondern auch gewissenhaft dokumentieren.«

Hervorheben konnte Markus Füss hierbei die besonderen Kräfte, die während der Arbeiten auf Seil, Struktur und Trägersystem einwirken: »Beim Reißen des Seils steigt der Kletterer in das Schutzseil. Allein dabei entstehen Kräfte von bis zu 6 kN, dasselbe passiert im Falle einer Rettungsaktion, weshalb es unglaublich wichtig ist, dass wir noch penibler in der Überprüfung sind.«

In Zusammenarbeit mit dem FISAT hat Markus Füss zu dieser Thematik außerdem ein Informationsplakat entwickelt: »Das Ziel war, Interessierten ein aussagekräftiges, selbsterklärendes Arbeitsmittel in die Hand zu geben, das Themen wie Gebrauchslast, Traglast, Mindestbruchlast und Anschlagssysteme besser veranschaulicht.« FISAT-Mitglieder können das Plakat direkt über die Geschäftsstelle beziehen – nach eigener Aussage ist aktuell auch eine kleinformatigere Ausführung geplant.    w

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